Erschienen in trend profil EXTRA 3/86
Heinz F. Honies hält kein Plädoyer für das Produkt des Jahrhunderts.
Also: Ich leide an der Aggression der Fußgänger, die sich mit zunehmender Straßenglätte potenziert.
Ich leide am Hochmut jener Fahrer von Rostschüsseln, die an der Ampel einen Blitzstart hinlegen und mich mit einem mitleidigen Blick - Marke Schlappschwanz - bedenken.
Ich leide an der Frechheit jener, die mich auf der Autobahn bei 190 in der dritten Spur hektisch anblicken und sich herrisch Platz verschaffen wollen.
Ich leide an der Indolenz der Mechaniker, die sich das Öffnen der Motorhaube honorieren lasse, die verrechneten Arbeiten aber nur mangelhaft durchführen.
Trotzdem kann ich mir mein Leben ohne Auto nicht vorstellen.
Ungeachtet der ständigen Benzinpreiserhöhungen, Steuer- und Versicherungsretuschen, Parkplatzprobleme, Kolonnenfahrten und Stausyndrome - von der täglichen Gefahr um Leib und Seele ganz zu schweigen.
Woher kommt nun dieses Leid, das mir mehr zu schaffen macht wie eine dräuende Pankreasinsuffizienz oder ein per Readers-Digest-Gesundheitsbuch angelesenes Prostataleiden?
Das Auto ist doch ein guter Freund:
Wenn es mich sicher und kuschelig warm im Schneegestöber an den anfrierenden Haltestellenpassanten vorbei zu meinem Ziel bringt, wenn ich statt teurer Bahnkarten für die vielköpfige Familie mit einem vollen Tank nach Tirol komme, wenn es mir hilft, meinen schwarzen Aktenkoffer bequem ins Büro fahren zu können.
Aber auch ein Feind, wenn es mich im Regen auf der Autobahn im Stich lässt und mir einen Fußmarsch zur nächsten Signalsäule abverlangt, wenn wieder mal die Batterie ihr Leben ausgehaucht hat und der Kübel am Morgen nicht zum Leben zu erwecken ist.
Da ich mein Autofahrerleben vor 20 Jahren mit einem leibschüsselartigen Morris Minor 850 (Baujahr 1954) begonnen habe, hat sich in mir das Feindbild eingeprägt. Mein Vertrauen, das ich bis dahin in die Technik hatte, bekam durch starre Federbeine, rutschende Kupplung und einer auf Zufallsprinzip aufgebauten Elektrik einen Knacks. Und so neu und glänzend kann ein Automobil gar nicht sein, dass ich nicht noch heute permanent auf atypische Geräusche horche, die einen Lagerschaden oder einen Differential-Break down ankündigen.
Schon was von Montag-Autos gehört?
Automobile üben auch mich keinerlei Faszination aus. Ich kann mich nur wundern über jene Leute, die bei den wohlausgewogenen Formen der Stoßstange, bei blitzenden Ansaugkrümmern in den Eingeweiden und beim „Sound“ des Aggregats ins Entzücken geraten.
Für mich ist dieser mehr oder minder attraktive Haufen aus Eisen, Blech, Chrom Kunststoff und Glas eine Schöpfung, die mich komplikationslos von Punkt A zu Punkt B zu bringen hat, aber permanent darauf aus ist, mir Ungelegenheiten zu bereiten und die Marie aus der Tasche zu ziehen.
Deswegen ist es auch so verdammt schwer, ein passendes Fahrzeug zu finden. Ich möchte eines, das leise übers Kopfsteinpflaster hinwegschwebt, in dem ich in der Julisonne nicht gegrillt werde und in dem das lauteste Geräusch das Knurren meines Magens ist.
Darum fahre ich einen jener eleganten deutschen Sportwagen in der Targa-Ausführung.
Was eine wertvolle Erfahrung darstellt, die ich den sogenannten Porsche-Effekt genannt habe. Solange ich in meinen Defensiv-Autos herumkutschierte, saß ich tobend und rüttelnd am Steuer eines Mercedes 200 D (55 PS) 1,5 Tonnen schwer), wenn ich mich auf der Strengberg-Autobahn in die Kriechspur werfen musste und mich 2 CVs und Busse höhnisch überholten.
Heute sitze ich lässig in der langsamsten Schüssel, halte in der rechten Spur meine 100 km/h und schere mich keinen Deut, ob mich Kadetts, Golfs oder Mitsunissamazdas überholen.
Ich weiß; in der Garage steht ER. Und wenn ich ihn hervorhole, dann kriegen sie alle, alle die Gurke.
Das ist mein Beitrag zur aktiven Verkehrssicherheit.
Ich bin aber zu der Erkenntnis gekommen, dass dieses Auto nicht zu mir passt. Es entspricht nicht meinem Charakterbild: Äußerlich bescheiden, innerlich ein Vulkan - wenn ich das in aller Demut sagen darf.
Ich suche einen VW Polo mit Formel-1-Motor.
*
Autofahren sei eine Charaktersache, meinen viele. Ich glaube, dass viele hinter dem Volant überhaupt keinen Charakter haben beziehungsweise ihren wahren Charakter erst hinter dem Lenkrad entwickeln - auf Art von Dr. Jekyll und Mister Hyde. Was ich sogar an einer ausgeglichenen Persönlichkeit wie meiner feststellen musste.
Denn im Auto bin ich der festen Meinung, dass dieser Schnösel von Fußgänger ruhig warten kann, bis ich meine Karosse vorbeigeschoben habe. Kaum aus der Blechhülse draußen, schiebe ich mich mit Seelenruhe über den Zebrastreifen, denn dieses ¤¤****!!!&&& kann ruhig die paar Sekunden warten, bis ich drüber bin. Außerdem ist es gesetzlich verboten, Fußgänger niederzuwalzen.
Viele tun's trotzdem.
Viele überholen mich auch vor unübersichtlichen Kurven und Kuppen, drängen mich an den Straßenrand (Bankett nicht geschüttet), nehmen sich cool den mir alleinzustehenden Vorrang, wenn ich mit 70 am Wiener Gürtel entlang zuckle, um das tägliche Angebot zu studieren.
Und zwar unbesehen nach Rang und Alter. Da sind die obligaten Hutfahrer, die immer mehr auf Golf umsteigen, genauso darunter wie die Herrenfahrer mit Telefonhörer und vierstelliger Autonummer.
Die Statistiker haben ausgerechnet, dass fast die Hälfte aller Verkehrsunfälle von Lenkern verursacht werden, die ihren Führerschein kürzer als fünf Jahre haben. Das kostet die Volkswirtschaft, die für die Folgeschäden aufzukommen hat, etwa zehn Milliarden Schilling pro Jahr.
Was Fachleute aller Richtungen nach einer praxisorientierten Fahrerausbildung und nach einer Führerscheinreform rufen lässt.
Ich fordere einen Charaktertest, um alle jene von den Straßen wegzubringen, die ihre Komplexe an mir auslassen wollen.
Wie komme ich dazu?
All meinen Leiden zum Trotz feiere ich jedoch am säkularen Jubiläum des Automobils mit. Mit allen jenen, die Tausende von Druckseiten (inklusive der vorliegenden) über das Kraftfahrzeug füllen, die Salons und Messen darüber veranstalten, die in Symposien über die Vergangenheit und über die Zukunft des Autos disputieren.
Ich gebe zu, das Produkt Automobil hat Technik, Gesellschaft und Politik die letzten 100 Jahre in einem Maße geprägt, wie es zuvor noch nie der Fall war. Und Namen wie Mercedes, BMW, Bugatti, Ford oder Jaguar sind auch AHS-Schülern geläufig, selbst wenn sie das Jahr des österreichischen Staatsvertrages nicht auf Anhieb erraten können.
Wenn auch die technologische Entwicklung dieses Jahrhundertproduktes so innovativ nicht war, wie manche glauben machen wollen.
Am Grundprinzip, der ständigen Explosionen im Motor, hat sich nichts geändert. Und daran, dass dieses Ding seit jeher schon mit teuren Erdölprodukten - die ja in Mutter Erdens Schoß nicht unbegrenzt vorhanden sind (zumindest erzählte man uns das 1973) - angetrieben wird, ebenfalls nichts. Wenn nämlich die Entwicklung des Automobils ähnlich rasant wie jene in der Elektronik verlaufen wäre, dürfte heute ein Rolls-Royce knapp 50 Schilling kosten und müsste mit einem Liter Benzin 750.000 Kilometer fahren.
Aber ich habe das Gefühl, dass die verantwortlichen Herrn in den diversen Industrien das gar nicht wollten und nie anstreben werden: Die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft wären ja nicht abzusehen, wenn nur mehr Rolls' Corniche-Coupes auf den Straßen herumgleiten würden und man mit einem Siebentel reschen Sprit über 100.000 Kilometer fahren könnte.
Da würden ja ganze Völker leiden.
Gespannt bin ich allerdings, ob die hundersten Geburtstage von Computer, Düsenflugzeug oder Fernsehapparat mit ähnlichem Pomp begangen werden wie jener des Automobils.
Ich werd's nicht mehr erleben?
Das ist wenigstens ein Leiden, das mich überhaupt nicht plagt.
*
Außerdem kenne ich nur Leute, deren Auto unter sieben Liter im dichtesten Stadtverkehr benötigt, deren Fahrzeug höchstens einmal pro Jahr zum unbedingt nötigen Service in die Werkstätte muss und die einen Wagen fahren, der sie noch nieee in Stich gelassen hat.
Kritik an ihrem Blechkübel wird etwa so aufgenommen, als würde man ihren hochintelligenten Lieblingssohn zum ordinären Dorf-Dodel abstempeln.
Wenn das alles stimmen würde, was die motorisierten Kollegen so von sich geben, hätte bereits die Hälfte aller Tankstellen geschlossen, ein Großteil der Kfz-Werkstätten den Konkurs anmelden müssen, und die Autohersteller wären in derselben delikaten Situation wie die Voest.
Da mir aber nichts Menschliches fremd ist, verstehe ich voll und ganz. Das Auto ist eben eine zweite Haut, und an meine Haut lasse ich nur Wasser und - sonst niemanden. Das erklärt auch die emphatischen Ausbrüche von Autobesitzern, wenn man beginnt, an ihrer teuren Lack-Schicht zu kratzen.
Denn sie wollen es ja gar nicht wissen, dass bei Einrechnung aller Kosten ein Kilometer von 4,50 Schilling aufwärts kostet; dass sie sich den Magen ruinieren, wenn sie im Auto frühstücken, nur um in der Nähe ihres Arbeitsplatzes parken zu können; dass sie jeder Stau im Energieferien-Verkehr ein Jahr ihres Lebens kostet. Und dass sie sich für das Geld, das sie in die Blechkarosse investieren, auch in einer Sänfte herumtragen lassen könnten.
Aber was ist schon eine altväterliche Sänfte gegen einen rassigen Skoda.
*
Automobile unserer Zeit sind - das muss gesagt werden - absolute Spitzenprodukte. Sie sind weitgehend rostunanfällig, reparaturfreundlich, zumeist mit moderner Elektronik ausgestattet, den neuesten sicherheitstechnischen Ansprüchen gewachsen, dynamisch motorisiert - und sauteuer.
Nicht zuletzt durch unnötigen Firlefanz. Zum Beispiel Liegesitze. Ich habe in meinem 20jährigen Autofahrer-Leben noch nie dieses als unbedingt notwendig angesehene Instrumentarium benützt.
Weder so noch so.
„Brauchst dich ja nur in den Spiegel zu sehen“, meinen da gute Freunde. Ich brauche aber auch keinen teuren Kosmetikspiegel vor dem Beifahrersitz. Wann sitz ich schon drauf? Oder der Reservereifen. Sicherlich gut und gern 3000 Schilling teuer. Auch für ihn hatte ich noch nie Verwendung.
„Fahr Straßenbahn“, würgen dann eben jene Freunde meine sinnige Argumentationskette zur Verbilligung des Automobils ab.
Alles, nur das nicht.