Donnerstag, 25. September 2014

Die Reporter des Satans

Anekdoten aus meiner Zeit beim KURIER




Ich war von 1968 bis 1973 Mitglied der KURIER-Lokalredaktion und habe in dieser Zeit der Jugendproteste, Stein-Ausbrecher und Karl Schranz – Hysterie im Rahmen meiner täglichen Arbeit eine Reihe tragischer, skurriler und komischer Ereignisse miterleben können. Anlässlich des 60jährigen KURIER-Jubiläums habe ich in meinem Fundus gekramt und einige Anekdoten über diese Zeit gefunden. Sie geben  einen humorvollen Einblick in die Welt der Reporter – und vor allem in eine Zeit, in der es keine multimedialen Werkzeuge wie Handy, E-Mail und Digitalkamera gab. 




 

Anekdoten: Stories verkaufen

Interne Konkurrenz

Stories verkaufen



Der wichtigste Termin für einen Lokalreporter ist die tägliche Redaktionskonferenz. Hier muss er das erste Mal seine Story verkaufen und dieses Publikum - nämlich die Kollegen - ist unerbittlicher als selbst der ultra-kritische Leser. Wer hier neben geschliffener Rhetorik und journalistischem Gespür nicht auch ein nahezu geniales Verkaufstalent an den Tag legt, wird in seiner Karriere scheitern. Sie ist aber auch die Gelegenheit, sich gegenüber seinem Ressortchef zu profilieren, zu dokumentieren, welch Fleiß und welch Einsatz an den Tag gelegt wurde, was sich nicht unwesentlich auf die Höhe der auszuzahlenden Honorare auswirkte.
Was im Fall des Kurier-Lokalchefs Reinald Hübl besonders wichtig war. Hübl war ein ewig schlecht gelaunter, mürrischer und autoritärer Mensch, dem seine Magengeschwüre zu schaffen machten und der das letzte Mal die Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen hatte, als ihm die englische Queen bei ihrem Wien-Besuch die Hand schüttelte. (Was prompt einen Seiten-Aufmacher mit dem Titel: „Die Queen hat mir die Hand gereicht" zur Folge hatte.)
Und daneben war er auch der Meinung, dass Journalismus sehr viel mit Transpiration und nur sehr wenig mit Inspiration zu tun habe.
Ein Verlassen des Arbeitsplatzes nach 14 Stunden empfand er als persönlichen Affront, ein Ansuchen um einen dreitägigen Urlaub wertete er als Revolution. Reporter, die täglich nicht mindestens fünf Stories - sogenannte „gute Geschichten" bei der Konferenz anbieten konnten, waren in seinen Augen für diesen Job ungeeignet.
Aus diesem Grunde hatte sich bei den Lokalreportern des Kurier an jedem Vormittag eine Story-Börse etabliert, deren Vorsitz naturgemäß der Frühredakteur führte, da er bereits seit sechs Uhr morgens den Nachrichteneinlauf kontrollieren konnte. Dem Mitteldienst, der um ca. 9 Uhr begann, blieben meist die Kommissariate und Gendarmerie-Kommanden, der Mittagsdienst, der um 11:30 Uhr kam, war der ärmste Hund. Hatte er sich nicht vom Vortag einige Themen beiseite geschafft oder bereits am Vormittag recherchiert, stand er um 13 Uhr vor dem gestrengen Hübl ohne Story da.
Diese undankbare Rolle hatte in diesem Falle Lokalreporter Rudolf John über, der hechelnd und atemlos im 10. Stock des Kurier Hauses eintrudelte, nach zwei Anrufen auf seinen Stammkommissariaten abgeblitzt war und nun auf die Milde des Frühredakteurs Günther Kallinger angewiesen war, der ihm zur Überraschung der herumlungernden Reporter und Fotografen vier Stories zur Präsentation überließ.
Was einigermaßen Aufsehen erregte, denn im gesunden Konkurrenzkampf unter dem Motto „Jeder ist seine eigene Fabrik" hütete jeder Reporter seine Geschichten wie einen Augapfel, die Besten - so die Legende - wurden höchstens testamentarisch weitergegeben.
Punkt 13 Uhr erscheint Hübl wie immer mit hochgekrempelten Ärmeln und fliegender Krawatte, fläzt sich in einen Stuhl und eröffnet mißgelaunt und brummend die Konferenz. Chefreporter Josef „Bubi" Jäger spult sein Krimi-Programm herunter, Günther Kallinger hat eine umfangreiche Palette vom Kupferkesseldieb bis zum blutigen Familienstreit anzubieten, Reinhard Wenzl ist in den Bundesländern erfolgreich gewesen, Gerichtsreporter Peter M.Lingens schildert blumig eine Notzucht und Peter Pilz - damals einer der ersten Grünen, aber weder verwandt noch verschwägert mit dem heutigen Pilz - erntet für eine Story über hungernde Schwarzafrikaner in Traiskirchen nur zynische Kommentare der Anwesenden, die Hübl mit einem Verdrehen der Augen abrupt stoppt. Was nahezu einem Todesurteil gleichkam.
„Herr John, bitte ?" wendet er sich etwas angewidert dem nächsten Kandidaten zu. Dieser nimmt den Zettel, auf die er die vom gutherzigen Kollegen Kallinger weiter gegebenen Geschichten notiert hat und hebt an:

„Also ich habe hier einen Verkehrsunfall auf der A2, bei dem der Lenker skalpiert und...."
„Ist ein Einspalter in der AZ, Herr John." Leichtes Herabfallen der Mundwinkel von Hübl.
„Ah hä, hä, so. Gut. Dann hätte ich eine Fortsetzung zum Raub von vorgestern, da hat nämlich der Täter ....."
„Herr John, das ist der Aufmacher von Seite 5 im blauen Express"
Eine steile Kerbe bildet sich zwischen den Augenbrauen von Hübl.
„Hmm, ja also. Na dann kann ich noch anbieten eine überraschende Wendung im Doppelmord von ...."
„Das ist die Schlagzeile von Seite 1 der heutigen Kronen-Zeitung, Herr John". Hübl trommelt bereits ungeduldig auf den Tisch, die Kerbe an seiner Stirn hat bereits die Tiefe einer Ackerfurche.
Auf John's Stirne zeigen sich leichte Schweißperlen, unbehaglich wetzt er auf seinem Stuhl, mit einem sicheren Lächeln greift er zum letzten Zettel.
„Also, also das ist aber eine Superstory. Eine Frau, die seit zwei Jahren um das Sorgerecht ihrer Kinder kämpft...."
Hübl erbleicht, springt auf. Mit gepreßter Stimme und einem gefährlichen Flackern in den Augen, nur mühsam an sich haltend um dem Reporter nicht an die Kehle zu fahren: „Herr! Das ist das Thema meines heutigen „Menschlich gesehen".
Dreht sich auf dem Absatz um und rauscht aus dem Zimmer.
John sackt in sich zusammen und fasste damals vermutlich den Entschluß, ins Filmressort zu wechseln und die Romy zu erfinden.


Anekdoten: Verfolgungsjagd

Anekdoten: Ist Fliegen schöner?



Totaler Körpereinsatz

Ist Fliegen schöner ?


Die Freiheit über den Wolken war zur damaligen Zeit wie immer grenzenlos, allerdings noch etwas teuer und für die mit Wochenhonoraren nicht unbedingt verwöhnten Lokalreporter durchaus noch eine Attraktion. Vor allem wenn es kostenlos war.
So dachte auch der Lokalchef Hübl und er vergab bei Konferenzen Presseflüge durchaus als eine Art Prämie für gutes Benehmen und tierischen Einsatz. Und so verlieh er dem einsatzfreudigen Heinz Honies eines Tages einen Trainingsflug mit einer Lufthansa Boeing 707, eine Belohnung, die der Reporter mit zittrigen Fingern in Empfang nahm und sich bereits auf dem Wege nach Paris oder London -mit einem kleinen Einkaufsbummel verbunden - sah. Mit von der Partie war der stille, aber ungeheuer begabte Fotograf Gerald Zugmann, der sich sofort mit einer Tasche voll Filmen eindeckte, um diesem Erlebnis gerecht werden zu können.
Abflug war am nächsten morgen um sieben Uhr morgens, was zwar ein kleiner Wermutstropfen war, aber trotzdem die Vorfreude nicht besonders trübte.
Pünktlich trudelten denn die Reporter in Wien -Schwechat ein, wo sie vom Pressechef der Lufthansa- einem molligen, gemütlichen Herrn in Empfang genommen wurde und man ohne weitere Formalitäten in Richtung Rollbahn schritt.
Auffällig war, dass der Andrang zu diesem einmaligen Ereignis nicht besonders groß war, denn die 168 Pasagiere fassende Maschine war gähnend leer und mit der Besatzung zusammen war man zu siebt. Wobei es sich der Kapitän des 106 Tonnen schweren, vierstrahligen Düsenvogels nicht nehmen ließ- allerdings erst nachdem die Bordtütren hermetisch verschlossen worden waren - seine Passagiere über Sinn und Zweck eines derartigen Fluges aufzuklären.
Linienpiloten sind in regelmäßigen Abständen verspflichtet, derartige Trainingsflüge durchzuführen, in deren Verlauf all das simuliert werden muss, was bei einem regulären Flug alles schiefgehen kann. Die beiden Reporter hätten nun - meinte er sarkastisch lächelnd - die einmalige Gelegenheit, dies mitzuerleben um danach über den hervorragenden Ausbildungsstand des Flugpersonals und der einmaligen Belastungsfähigkeit eines derartigen Jets berichten zu können.
Und freundlich lächelnd ergänzt der Pressemann zu den mittlerweile spitz um die Nase werdenden Journalisten: „Das alles passiert im Raum zwischen Preßburg und St.Pölten."
Honies lehnt sich schwer atmend zurück, nestelt nach einer Zigarette, was der Pressemensch mit einem Fingerzeig auf das Leuchtschild verhindert. Zugmann nestelt in seinem Fotokoffer herum, das 35 er Objektiv rutscht ihm aus den schweißnassen Händen und rollt unter den Sitz. Und in diesem Moment heulen bereits die Turbinen auf, die Maschine erreicht in Kürze die Startbahn und ist nach ein paar Sekunden- unbeladen wie sie ist - in der Luft.
Zugmann hat mittlerweile sein Objektiv gefunden und montiert, drückt zwei mal drauf und versinkt in seinem Sessel.
Schon meldet sich fröhlich der Kapitän über die Bordsprechanlage, meint mit teutonischem Zungenschlag dass man mal mit Feueralarm beginnen werde, wobei bereits die letzten Worte in infernalischem Geschrill untergehen. Der Lufthansa-Pressemensch, der es sich in der unbeheizten Maschine auf den Nebensitzen bequem gemacht hat, öffnet und schließt in dem Lärm den Mund, wodurch er die Gefahrlosigkeit dieser Übung mit einer beruhigenden Handbewegung verdeutlicht.
Das Feuer ist gelöscht und als nächstes wird Fliegen mit drei und mit zwei Triebwerken geübt. Wobei der Kapitän seine Passagiere beruhigt, denn dabei werde man nur etwa 90 Fuß absacken, bis man die Maschine wieder getrimmt hätte.
Honies sitzt neben der Tragfläche, an der die Triebwerke stillgelegt werden, wobei sich diese etwas merkwürdig auf und ab bewegt. Die 90 Fuß Talfahrt erlebt er nur mehr mit geschlossenen Augen.
Nachdem die Piloten auch diese Situation mit Bravour gemeistert haben- das Flugzeug ist nach Augenschein aus dem Kabinenfenster - jedenfalls noch ganz schön hoch über Grund, gibt es zur Erholung eine 60 Grad Steilkurve. Eine Übung, die den Reportern das Gefühl im Hirn vermittelt in einem Bob zu sitzen, nur dauert das ganze doppelt so lange, als eine Weltmeisterschaft in Igls.
Bei Zugmann macht sich bereits der Magen bemerkbar, Honies fühlt sich, nachdem die Maschine nach der Kurve rollt wie ein Raddampfer vor Feuerland, leicht seekrank.
Erleichtert registrieren die beiden, dass sich die Maschine senkt und bereits wieder Kurs auf den Heimatflugahfen nimmt, werden jedoch jäh aus ihren Träumen gerissen, als der Pilot bekannt gibt, dass man nun ein Durchstart-Manöver auf der Piste plane.
Was auch beinhart durchgezogen wird, denn kaum setzt der Riesenvogel auf der Landebahn auf, werden die Reporter in den Sitz gedrückt, da die Maschine mit voller Kraft wieder hochgerissen wird und gegen den - nicht mehr registrierten azurblauen Himmel- zieht.
Diese Übung dürfte allerdings nicht zur Zufriedenheit des Prüfers ausgefallen sein, denn sie muss noch zwei Mal wiederholt werden. Erst bei der vierten Bodenberührung wird der Lärm der Turbinen gedrosselt, die Maschine wird langsamer und rollt schließlich aus.
Zugmann, dessen Gesicht bereits die Farbe der Lufthansablauen Sitzüberzüge angenommen hat und Honies, dessen Magen sich anfühlt, als habe er drei Spiegelungen hinter sich, torkeln die Treppe hinab, wobei beide knapp davor stehen, die ölverschmierte Betonpiste zu küssen.
Der Pressemensch, der die beiden letzten Durchstart-Manöver verschlafen hat, ist völlig aufgekratzt ob dieser gelungenen Veranstaltung.
„Ich glaube jetzt haben wir uns ein kräftiges Abendessen verdient" meint er schulterklopfend zu den beiden.
Die aufkeimende Panik nur mühsam unterdrückend flüchten die beiden unter Gemurmel wie "Geschichte schreiben" und "Bilder entwickeln" in die nächste Toilette.

Anekdoten: Die Rache der Kleinen


Donnerstag, 18. September 2014

Anekdoten: Lynchjustiz

Doppelmord in Judenau

Lynchjustiz




Kurier Reporter Heinz Honies schiebt Nachtdienst. Der Polizeifunk rauscht träge vor sich hin, der Kopf wird bereits schwer, es ist knapp vor vier Uhr. Der dösende Reporter wird durch das Klingeln des schwarzen Telefons -dem „Direkten“ - aufgeschreckt. Das Landesgendarmerie-Kommando meldet freundlicherweise einen Doppelmord in Judenau - zwei Kinder. Honies verständigt routinemäßig Chefreporter Jäger, der den Fall selbst übernimmt, wird angewiesen, einen Fotografen zu organisieren - gemeinsam rumpelt man anschließend im VW-Käfer des Fotografen zum Ort des Geschehens.

Der Tatort- eine Wiese außerhalb des Ortes -in dessen Gebüsch man die Leichen des 12jährigen Knaben und seiner 10jährigen Schwester aufgefunden hat, liegt im Morgennebel, Honies und Fotograf latschen durch das kniehohe, taufeuchte Gras, Chefreporter Jäger recherchiert bei den Kriminalbeamten.
Die Identität steht fest, Honies und Fotograf besuchen die geschockten Eltern, wühlen im Familienalbum und nehmen zwei - und um der Konkurrenz nichts zu hinterlassen auch alle anderen Fotos - der Kinder mit. Anschließend geht es wieder zum Tatort, die Kriminalisten suchen nach Hinweisen, vom Täter jedoch keine Spur.

Fritz
KURIER-Reporter Heinz Honies anno 1968
 Jäger und der Fotograf lassen den mit feuchten, dünnen Lederschuhen und einem dünnen Mäntelchen bekleideten Honies auf der Wiese zurück, um die Fotos noch in die Mittagsausgabe zu bringen. Der Chefreporter verspricht eine Ablöse um 8 Uhr morgens. Die auch pünktlich eintrifft, Honies darf sich aufwärmen und wird vor dem Dorfwirtshaus in Judenau abgesetzt.
Der Reporter betritt die Wirtsstube, ausgefroren, unrasiert, die Schuhe naß und aufgeweicht, die Hosen bis zu den Knien vom nassen Gras dreckig und vor allem - fremd.
Die Stube ist um diese Zeit bereits voll mit Einheimischen, der Zigarettenqualm im Raum ist zum Schneiden, die Stimmung angeheizt- alles spricht vom Mord an den beiden Kindern, über das Untier, das solch ein Verbrechen begangen hat und über Konsequenzen, was mit solchen Leuten geschehen solle.
Als sich Honies still und bescheiden in eine Ecke setzt, erstirbt das Gespräch urplötzlich und alle Blicke sind auf den fremden Gast gerichtet.
Der Wirt nähert sich mit mißtrauischem Blick dem Tisch. Unbehaglich kratzt sich der Reporter am Kopf und bestellt heißen Tee mit Rum- was mit einem wissenden Kopfwenden des Wirtes zu den übrigen Gästen quittiert wird.
Eisige Stille dröhnt ans Ohr des Reporters, die nur durch das laute Ticken einer Wanduhr durchbrochen wird.
Urplötzlich eine Stimme aus der Gruppe an der Schank. „Wann mir den dawischen, braucht er ka Gendarmerie mehr.“
Alle blicken stahlhart zum Tisch des Reporters .
„Na, logisch.Zerscht daschlogn und dann aufhängen" meint eine zweite, rauhe Stimme aus der Masse der Umstehenden, die zustimmendes Gemurmel erntet.
„Sowas gehört sowieso weg" moniert eine grelle Frauenstimme, zu der ein Wetter gegerbtes Gesicht gehört. „Wer sowas macht, der is ka Mensch".
Die Gäste nicken zustimmend und blicken in Richtung des unbeteiligt blickenden Jungreporters, dem nicht allein wegen des Tees immer heißer wird. Vorsichtig taxiert er nach einem Fluchtweg, vor der Türe aber haben sich bereits zwei bullige Einheimische mit Händen wie Dreschflegeln aufgebaut.
Vorsichtig und in Zeitlupe greift er in seine Innentasche, um seinen Presseausweis heraus zu fingern, um einen möglicherweise irreparablen Fehler aufklären zu können. Aber: Die Finger greifen ins Leere. Wie ein Keulenschlag kommt die Erkenntnis - er ist nicht da.
Der kalte Schweiß beginnt bereits in Bächen den Rücken herabzufließen, Bilder von gelynchten und aufgeknüpften Menschen schießen durch sein Gehirn, diesem Mob kann man nicht entrinnen, die Karriere als männliche Oriana Fallaci ist dahin.
In diesem Moment wird die Türe aufgerissen, Chefreporter Jäger stürmt herein.
„Wo is da ein Telefon. Mir habn den Täter. Ich muss sofort durchgeben."
Im Nu hat sich die Gaststube geleert. Zurück bleibt ein dem Tode entronnener Reporter des Satans, der glücklich einen zweiten Tee mit doppeltem Rum bestellt.

(Foto: F. Klinsky)
 
Anekdoten: Verfolgungsjagd

Anekdoten: Spesenritter



Reporter im Einsatz
Spesenritter


Zu den ersten Dingen, die ein junger Reporter im Dienst lernt, zählt das Spesenmachen. Eine Ausfahrt in die Bundesländer und schon sitzen Reporter und Fotograf im nächsten Restaurant und dinieren auf Verlagskosten - eine willkommene Abwechslung zum eintönigen Kantinenfraß. Deshalb drängt es die Reporter auch so oft wie möglich weg vom Schreibtisch und hin zum noblen Futtertrog.
So auch an diesem Abend. Jungreporter Honies schiebt wieder einmal Nachtdienst, als über den Fernschreiber eine heiße Meldung tickert: Neunjähriger Knabe entführt, Täter hat sich in einer Wohnung in der Steingasse in Salzburg verbarrikadiert.
Was nichts anderes heißt: Nichts wie hin. Es ist knapp 21 Uhr, in zweieinhalb Stunden ist man in Salzburg - also Zeit genug, die Story für die blaue Mittagsausgabe fertig zu stellen. Honies verständigt den diensthabenden Fotografen, einen jungen Mann namens Harry Fräser, der neben totalem Einsatzwillen auch Marotten wie der Fotograf aus Antonionis „Blow up" zeigt. Dazu reserviert er sich noch den Redaktionswagen, einen Renualt R 16, der zu dieser Zeit vom langjährigen Chauffeur F. Freismuth benutzt wird. Freismuth ist ein bedächtiger Mann mittleren Alters, der mit untrüglichem Instinkt bereits einen Kilometer vor einer grün anzeigenden Ampel zu bremsen beginnt, da es ja demnächst Gelb werden kann. Dies besonders dann, wenn es die Reporter eilig haben, an den Tatort zu gelangen. (Und wann haben sie es nicht eilig.)
Daneben haben sich Ausfahrten mit Freismuth unter dem Titel „Vierer mit Steuermann" unter den Kurier-Reportern eingebürgert, denn gerade auf Autobahnfahrten hat Freismuth scheinbar die Gewohnheit, mit dem Gasfuß zu wippen, was den Insassen des Fahrzeuges die Illusion vermittelt, in einem Ruderboot unterwegs zu sein.

Honies auf Recherche (Foto G. Zugmann)
 Trotzdem erreichen die drei- die beiden Reporter schon mit leichten Anzeichen einer Seekrankheit - knapp vor Mitternacht die Stadtgrenze von Salzburg und beginnen nun ihre Fahndung nach der Steingasse.
Anmerkung am Rande: Die Steingasse ist das stadtbekannte Nuttenviertel von Salzburg mit der entsprechenden Infrastruktur.
Der erste Passant, der nach dem Weg befragt wird, weiß natürlich Bescheid und weist die Crew aus Wien ein.
Sie finden trotzdem nicht hin.
Der zweite Passant, der befragt wird, gibt sich wohlwollend lächelnd informiert und weist die Wiener in die Gegenrichtung. Ein neuerlicher Fehlschlag.
Die dritte Auskunftsperson lacht nur hell auf, deutet nebulos nach allen Himmelsrichtungen und erneut geht es durch die - damals noch zu befahrende salzburger Innenstadt. Die Gasse ist nicht aufzutreiben.
Honies, der um seinen Termin fürchtet, wird leicht nervös und stürzt ins nächste Polizeiwachzimmer:
„Wie komme ich bitte von hier in die Steingasse!" stößt er atemlos und gehetzt hervor.
Die Polizisten blicken sich nur bedeutungsvoll an, geben aber trotzdem eine genaue Lage und Wegbeschreibung.
Das Kopfschütteln der beiden sieht er nicht mehr, als er zum Wagen stürzt.
Als sie endlich in der besagten Straße vor dem Haus Nr. 12 vorfahren sieht es nicht besonders gut aus. Drei Kollegen belagern bereits die Haustür und Honies muss sich von Express-Mitarbeiter Hans Mahr aufklären lassen, dass hier ein Diplomat logiert, der seinen eigenen Sohn gegen den Willen seiner Gattin beherbergt und dass der gute Mann nicht gewillt ist, mit der Presse zu sprechen. Die Polizei - im übrigen - lehne eine Intervention ab, da es sich um eine reine Privatangelegenheit handle.
Großer Kriegsrat unter den Journalisten, die mit allen Tricks versuchen, ins Haus zu kommen um zumindest ein Interview durch den Briefschlitz führen zu können. Der noble Herr selbst droht nach 15 Minuten Geklingel seinerseits die Polizei zu verständigen, die übrigen Hausbewohner scheinen verstorben zu sein.
Nach einer Stunde vergeblichen Wartens im kühlen Salzburger Nebel - es ist mittlerweile zwei Uhr morgens-zieht die Konkurrenz ab, Honies und seine Crew beschließen erbittert, ihre Spesen in einem guten Abendessen anzulegen.
Und fallen nebenan in ein Lokal mit dem klingenden Namen „Plaisier d`amour". Das Etablissement zeichnet sich vorerst durch Fehlen jeglicher Gäste, schummrige Beleuchtung und dezente Hintergrundmusik aus. Als die drei in einer abgewetzten Samtgarnitur an einem der Nierentische Platz nehmen, widmen sich gleich drei nette Damen um die Herren aus Wien, wobei der 18jährige Fotograf eine dralle Mittvierzigerin zugeteilt bekommt, dem reifen Freismuth ein Mädel mit unbestimmbaren Gesichtszügen und Altersringen in den Schoß fällt und Honies von einer schwarzhaarigen Dürren mit spitzen Ellbogen vereinnahmt wird.
Die Frage nach der Speisekarte geht in heiterem Gelächter unter, allerdings meinen die Damen, ob man denn ihnen nicht etwas spendieren wolle, übers Essen könne man ja später reden.
Honies als Einsatzleiter stiftet seiner Dürren daher großzügig einen Cognac, die beiden anderen Herren verwöhnen ihre Damen mit Bier und Cola. Die Stimmung erreicht vollends ihren Siedepunkt, als der Kellner mit drei paar Würsteln antanzt und die Damen werden zusehends handgreiflicher. So hat es der Drallen die enge schwarze Lederhose des Jung-Fotografen angetan, Honies verspürt wegen der Spitzen Knochen seiner Biene bereits die ersten blauen Flecken an den Rippen und Freismuth wippt immer öfters mit seinem Gasfuß.
Als sich im Verlauf der herzlichen Unterhaltung jedoch bei den Damen rumspricht, dass sie es hier mit Journalisten zu tun haben, erstarren sie urplötzlich. Und im Weggehen meint die schwarze Dürre, durchaus nicht unfreundlich: „Wanns glaubts, dass bei uns Vögeln auf Presseausweis gibt, liegts aber falsch."
Der Kellner präsentiert daher auch umgehend die Rechnung: 498 Schilling für Honies, je 240 Schilling für die beiden anderen Kollegen. Bei einem Spesensatz von 120 Schilling.
Als die drei von Salzburg nach Wien zurückrudern, ist die Unterhaltung denkbar einsilbig.

Anekdoten: Ist Fliegen schöner?