Donnerstag, 18. September 2014

Anekdoten: Spesenritter



Reporter im Einsatz
Spesenritter


Zu den ersten Dingen, die ein junger Reporter im Dienst lernt, zählt das Spesenmachen. Eine Ausfahrt in die Bundesländer und schon sitzen Reporter und Fotograf im nächsten Restaurant und dinieren auf Verlagskosten - eine willkommene Abwechslung zum eintönigen Kantinenfraß. Deshalb drängt es die Reporter auch so oft wie möglich weg vom Schreibtisch und hin zum noblen Futtertrog.
So auch an diesem Abend. Jungreporter Honies schiebt wieder einmal Nachtdienst, als über den Fernschreiber eine heiße Meldung tickert: Neunjähriger Knabe entführt, Täter hat sich in einer Wohnung in der Steingasse in Salzburg verbarrikadiert.
Was nichts anderes heißt: Nichts wie hin. Es ist knapp 21 Uhr, in zweieinhalb Stunden ist man in Salzburg - also Zeit genug, die Story für die blaue Mittagsausgabe fertig zu stellen. Honies verständigt den diensthabenden Fotografen, einen jungen Mann namens Harry Fräser, der neben totalem Einsatzwillen auch Marotten wie der Fotograf aus Antonionis „Blow up" zeigt. Dazu reserviert er sich noch den Redaktionswagen, einen Renualt R 16, der zu dieser Zeit vom langjährigen Chauffeur F. Freismuth benutzt wird. Freismuth ist ein bedächtiger Mann mittleren Alters, der mit untrüglichem Instinkt bereits einen Kilometer vor einer grün anzeigenden Ampel zu bremsen beginnt, da es ja demnächst Gelb werden kann. Dies besonders dann, wenn es die Reporter eilig haben, an den Tatort zu gelangen. (Und wann haben sie es nicht eilig.)
Daneben haben sich Ausfahrten mit Freismuth unter dem Titel „Vierer mit Steuermann" unter den Kurier-Reportern eingebürgert, denn gerade auf Autobahnfahrten hat Freismuth scheinbar die Gewohnheit, mit dem Gasfuß zu wippen, was den Insassen des Fahrzeuges die Illusion vermittelt, in einem Ruderboot unterwegs zu sein.

Honies auf Recherche (Foto G. Zugmann)
 Trotzdem erreichen die drei- die beiden Reporter schon mit leichten Anzeichen einer Seekrankheit - knapp vor Mitternacht die Stadtgrenze von Salzburg und beginnen nun ihre Fahndung nach der Steingasse.
Anmerkung am Rande: Die Steingasse ist das stadtbekannte Nuttenviertel von Salzburg mit der entsprechenden Infrastruktur.
Der erste Passant, der nach dem Weg befragt wird, weiß natürlich Bescheid und weist die Crew aus Wien ein.
Sie finden trotzdem nicht hin.
Der zweite Passant, der befragt wird, gibt sich wohlwollend lächelnd informiert und weist die Wiener in die Gegenrichtung. Ein neuerlicher Fehlschlag.
Die dritte Auskunftsperson lacht nur hell auf, deutet nebulos nach allen Himmelsrichtungen und erneut geht es durch die - damals noch zu befahrende salzburger Innenstadt. Die Gasse ist nicht aufzutreiben.
Honies, der um seinen Termin fürchtet, wird leicht nervös und stürzt ins nächste Polizeiwachzimmer:
„Wie komme ich bitte von hier in die Steingasse!" stößt er atemlos und gehetzt hervor.
Die Polizisten blicken sich nur bedeutungsvoll an, geben aber trotzdem eine genaue Lage und Wegbeschreibung.
Das Kopfschütteln der beiden sieht er nicht mehr, als er zum Wagen stürzt.
Als sie endlich in der besagten Straße vor dem Haus Nr. 12 vorfahren sieht es nicht besonders gut aus. Drei Kollegen belagern bereits die Haustür und Honies muss sich von Express-Mitarbeiter Hans Mahr aufklären lassen, dass hier ein Diplomat logiert, der seinen eigenen Sohn gegen den Willen seiner Gattin beherbergt und dass der gute Mann nicht gewillt ist, mit der Presse zu sprechen. Die Polizei - im übrigen - lehne eine Intervention ab, da es sich um eine reine Privatangelegenheit handle.
Großer Kriegsrat unter den Journalisten, die mit allen Tricks versuchen, ins Haus zu kommen um zumindest ein Interview durch den Briefschlitz führen zu können. Der noble Herr selbst droht nach 15 Minuten Geklingel seinerseits die Polizei zu verständigen, die übrigen Hausbewohner scheinen verstorben zu sein.
Nach einer Stunde vergeblichen Wartens im kühlen Salzburger Nebel - es ist mittlerweile zwei Uhr morgens-zieht die Konkurrenz ab, Honies und seine Crew beschließen erbittert, ihre Spesen in einem guten Abendessen anzulegen.
Und fallen nebenan in ein Lokal mit dem klingenden Namen „Plaisier d`amour". Das Etablissement zeichnet sich vorerst durch Fehlen jeglicher Gäste, schummrige Beleuchtung und dezente Hintergrundmusik aus. Als die drei in einer abgewetzten Samtgarnitur an einem der Nierentische Platz nehmen, widmen sich gleich drei nette Damen um die Herren aus Wien, wobei der 18jährige Fotograf eine dralle Mittvierzigerin zugeteilt bekommt, dem reifen Freismuth ein Mädel mit unbestimmbaren Gesichtszügen und Altersringen in den Schoß fällt und Honies von einer schwarzhaarigen Dürren mit spitzen Ellbogen vereinnahmt wird.
Die Frage nach der Speisekarte geht in heiterem Gelächter unter, allerdings meinen die Damen, ob man denn ihnen nicht etwas spendieren wolle, übers Essen könne man ja später reden.
Honies als Einsatzleiter stiftet seiner Dürren daher großzügig einen Cognac, die beiden anderen Herren verwöhnen ihre Damen mit Bier und Cola. Die Stimmung erreicht vollends ihren Siedepunkt, als der Kellner mit drei paar Würsteln antanzt und die Damen werden zusehends handgreiflicher. So hat es der Drallen die enge schwarze Lederhose des Jung-Fotografen angetan, Honies verspürt wegen der Spitzen Knochen seiner Biene bereits die ersten blauen Flecken an den Rippen und Freismuth wippt immer öfters mit seinem Gasfuß.
Als sich im Verlauf der herzlichen Unterhaltung jedoch bei den Damen rumspricht, dass sie es hier mit Journalisten zu tun haben, erstarren sie urplötzlich. Und im Weggehen meint die schwarze Dürre, durchaus nicht unfreundlich: „Wanns glaubts, dass bei uns Vögeln auf Presseausweis gibt, liegts aber falsch."
Der Kellner präsentiert daher auch umgehend die Rechnung: 498 Schilling für Honies, je 240 Schilling für die beiden anderen Kollegen. Bei einem Spesensatz von 120 Schilling.
Als die drei von Salzburg nach Wien zurückrudern, ist die Unterhaltung denkbar einsilbig.

Anekdoten: Ist Fliegen schöner?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen