Interne Konkurrenz
Stories verkaufen
Der wichtigste Termin für einen Lokalreporter ist die tägliche Redaktionskonferenz. Hier muss er das erste Mal seine Story verkaufen und dieses Publikum - nämlich die Kollegen - ist unerbittlicher als selbst der ultra-kritische Leser. Wer hier neben geschliffener Rhetorik und journalistischem Gespür nicht auch ein nahezu geniales Verkaufstalent an den Tag legt, wird in seiner Karriere scheitern. Sie ist aber auch die Gelegenheit, sich gegenüber seinem Ressortchef zu profilieren, zu dokumentieren, welch Fleiß und welch Einsatz an den Tag gelegt wurde, was sich nicht unwesentlich auf die Höhe der auszuzahlenden Honorare auswirkte.
Was im Fall des Kurier-Lokalchefs Reinald Hübl besonders wichtig war. Hübl war ein ewig schlecht gelaunter, mürrischer und autoritärer Mensch, dem seine Magengeschwüre zu schaffen machten und der das letzte Mal die Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen hatte, als ihm die englische Queen bei ihrem Wien-Besuch die Hand schüttelte. (Was prompt einen Seiten-Aufmacher mit dem Titel: „Die Queen hat mir die Hand gereicht" zur Folge hatte.)
Und daneben war er auch der Meinung, dass Journalismus sehr viel mit Transpiration und nur sehr wenig mit Inspiration zu tun habe.
Ein Verlassen des Arbeitsplatzes nach 14 Stunden empfand er als persönlichen Affront, ein Ansuchen um einen dreitägigen Urlaub wertete er als Revolution. Reporter, die täglich nicht mindestens fünf Stories - sogenannte „gute Geschichten" bei der Konferenz anbieten konnten, waren in seinen Augen für diesen Job ungeeignet.
Aus diesem Grunde hatte sich bei den Lokalreportern des Kurier an jedem Vormittag eine Story-Börse etabliert, deren Vorsitz naturgemäß der Frühredakteur führte, da er bereits seit sechs Uhr morgens den Nachrichteneinlauf kontrollieren konnte. Dem Mitteldienst, der um ca. 9 Uhr begann, blieben meist die Kommissariate und Gendarmerie-Kommanden, der Mittagsdienst, der um 11:30 Uhr kam, war der ärmste Hund. Hatte er sich nicht vom Vortag einige Themen beiseite geschafft oder bereits am Vormittag recherchiert, stand er um 13 Uhr vor dem gestrengen Hübl ohne Story da.
Diese undankbare Rolle hatte in diesem Falle Lokalreporter Rudolf John über, der hechelnd und atemlos im 10. Stock des Kurier Hauses eintrudelte, nach zwei Anrufen auf seinen Stammkommissariaten abgeblitzt war und nun auf die Milde des Frühredakteurs Günther Kallinger angewiesen war, der ihm zur Überraschung der herumlungernden Reporter und Fotografen vier Stories zur Präsentation überließ.
Was einigermaßen Aufsehen erregte, denn im gesunden Konkurrenzkampf unter dem Motto „Jeder ist seine eigene Fabrik" hütete jeder Reporter seine Geschichten wie einen Augapfel, die Besten - so die Legende - wurden höchstens testamentarisch weitergegeben.
Punkt 13 Uhr erscheint Hübl wie immer mit hochgekrempelten Ärmeln und fliegender Krawatte, fläzt sich in einen Stuhl und eröffnet mißgelaunt und brummend die Konferenz. Chefreporter Josef „Bubi" Jäger spult sein Krimi-Programm herunter, Günther Kallinger hat eine umfangreiche Palette vom Kupferkesseldieb bis zum blutigen Familienstreit anzubieten, Reinhard Wenzl ist in den Bundesländern erfolgreich gewesen, Gerichtsreporter Peter M.Lingens schildert blumig eine Notzucht und Peter Pilz - damals einer der ersten Grünen, aber weder verwandt noch verschwägert mit dem heutigen Pilz - erntet für eine Story über hungernde Schwarzafrikaner in Traiskirchen nur zynische Kommentare der Anwesenden, die Hübl mit einem Verdrehen der Augen abrupt stoppt. Was nahezu einem Todesurteil gleichkam.
„Herr John, bitte ?" wendet er sich etwas angewidert dem nächsten Kandidaten zu. Dieser nimmt den Zettel, auf die er die vom gutherzigen Kollegen Kallinger weiter gegebenen Geschichten notiert hat und hebt an:
„Also ich habe hier einen Verkehrsunfall auf der A2, bei dem der Lenker skalpiert und...."
„Ist ein Einspalter in der AZ, Herr John." Leichtes Herabfallen der Mundwinkel von Hübl.
„Ah hä, hä, so. Gut. Dann hätte ich eine Fortsetzung zum Raub von vorgestern, da hat nämlich der Täter ....."
„Herr John, das ist der Aufmacher von Seite 5 im blauen Express"
Eine steile Kerbe bildet sich zwischen den Augenbrauen von Hübl.
„Hmm, ja also. Na dann kann ich noch anbieten eine überraschende Wendung im Doppelmord von ...."
„Das ist die Schlagzeile von Seite 1 der heutigen Kronen-Zeitung, Herr John". Hübl trommelt bereits ungeduldig auf den Tisch, die Kerbe an seiner Stirn hat bereits die Tiefe einer Ackerfurche.
Auf John's Stirne zeigen sich leichte Schweißperlen, unbehaglich wetzt er auf seinem Stuhl, mit einem sicheren Lächeln greift er zum letzten Zettel.
„Also, also das ist aber eine Superstory. Eine Frau, die seit zwei Jahren um das Sorgerecht ihrer Kinder kämpft...."
Hübl erbleicht, springt auf. Mit gepreßter Stimme und einem gefährlichen Flackern in den Augen, nur mühsam an sich haltend um dem Reporter nicht an die Kehle zu fahren: „Herr! Das ist das Thema meines heutigen „Menschlich gesehen".
Dreht sich auf dem Absatz um und rauscht aus dem Zimmer.
John sackt in sich zusammen und fasste damals vermutlich den Entschluß, ins Filmressort zu wechseln und die Romy zu erfinden.
Anekdoten: Verfolgungsjagd
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