Doppelmord in Judenau
Lynchjustiz
Kurier
Reporter Heinz Honies schiebt Nachtdienst. Der Polizeifunk rauscht
träge vor sich hin, der Kopf wird bereits schwer, es ist knapp vor vier
Uhr. Der dösende Reporter wird durch das Klingeln des schwarzen Telefons
-dem „Direkten“ - aufgeschreckt. Das Landesgendarmerie-Kommando meldet
freundlicherweise einen Doppelmord in Judenau - zwei Kinder. Honies
verständigt routinemäßig Chefreporter Jäger, der den Fall selbst
übernimmt, wird angewiesen, einen Fotografen zu organisieren - gemeinsam
rumpelt man anschließend im VW-Käfer des Fotografen zum Ort des
Geschehens.
Der
Tatort- eine Wiese außerhalb des Ortes -in dessen Gebüsch man die
Leichen des 12jährigen Knaben und seiner 10jährigen Schwester
aufgefunden hat, liegt im Morgennebel, Honies und Fotograf latschen
durch das kniehohe, taufeuchte Gras, Chefreporter Jäger recherchiert bei
den Kriminalbeamten.
Die
Identität steht fest, Honies und Fotograf besuchen die geschockten
Eltern, wühlen im Familienalbum und nehmen zwei - und um der Konkurrenz
nichts zu hinterlassen auch alle anderen Fotos - der Kinder mit.
Anschließend geht es wieder zum Tatort, die Kriminalisten suchen nach
Hinweisen, vom Täter jedoch keine Spur.
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| KURIER-Reporter Heinz Honies anno 1968 |
Jäger
und der Fotograf lassen den mit feuchten, dünnen Lederschuhen und einem
dünnen Mäntelchen bekleideten Honies auf der Wiese zurück, um die Fotos
noch in die Mittagsausgabe zu bringen. Der Chefreporter verspricht eine
Ablöse um 8 Uhr morgens. Die auch pünktlich eintrifft, Honies darf sich
aufwärmen und wird vor dem Dorfwirtshaus in Judenau abgesetzt.
Der
Reporter betritt die Wirtsstube, ausgefroren, unrasiert, die Schuhe naß
und aufgeweicht, die Hosen bis zu den Knien vom nassen Gras dreckig und
vor allem - fremd.
Die
Stube ist um diese Zeit bereits voll mit Einheimischen, der
Zigarettenqualm im Raum ist zum Schneiden, die Stimmung angeheizt- alles
spricht vom Mord an den beiden Kindern, über das Untier, das solch ein
Verbrechen begangen hat und über Konsequenzen, was mit solchen Leuten
geschehen solle.
Als
sich Honies still und bescheiden in eine Ecke setzt, erstirbt das
Gespräch urplötzlich und alle Blicke sind auf den fremden Gast
gerichtet.
Der
Wirt nähert sich mit mißtrauischem Blick dem Tisch. Unbehaglich kratzt
sich der Reporter am Kopf und bestellt heißen Tee mit Rum- was mit einem
wissenden Kopfwenden des Wirtes zu den übrigen Gästen quittiert wird.
Eisige Stille dröhnt ans Ohr des Reporters, die nur durch das laute Ticken einer Wanduhr durchbrochen wird.
Urplötzlich eine Stimme aus der Gruppe an der Schank. „Wann mir den dawischen, braucht er ka Gendarmerie mehr.“
Alle blicken stahlhart zum Tisch des Reporters .
„Na,
logisch.Zerscht daschlogn und dann aufhängen" meint eine zweite, rauhe
Stimme aus der Masse der Umstehenden, die zustimmendes Gemurmel erntet.
„Sowas
gehört sowieso weg" moniert eine grelle Frauenstimme, zu der ein Wetter
gegerbtes Gesicht gehört. „Wer sowas macht, der is ka Mensch".
Die
Gäste nicken zustimmend und blicken in Richtung des unbeteiligt
blickenden Jungreporters, dem nicht allein wegen des Tees immer heißer
wird. Vorsichtig taxiert er nach einem Fluchtweg, vor der Türe aber
haben sich bereits zwei bullige Einheimische mit Händen wie
Dreschflegeln aufgebaut.
Vorsichtig
und in Zeitlupe greift er in seine Innentasche, um seinen Presseausweis
heraus zu fingern, um einen möglicherweise irreparablen Fehler
aufklären zu können. Aber: Die Finger greifen ins Leere. Wie ein
Keulenschlag kommt die Erkenntnis - er ist nicht da.
Der
kalte Schweiß beginnt bereits in Bächen den Rücken herabzufließen,
Bilder von gelynchten und aufgeknüpften Menschen schießen durch sein
Gehirn, diesem Mob kann man nicht entrinnen, die Karriere als männliche
Oriana Fallaci ist dahin.
In diesem Moment wird die Türe aufgerissen, Chefreporter Jäger stürmt herein.
„Wo is da ein Telefon. Mir habn den Täter. Ich muss sofort durchgeben."
Im
Nu hat sich die Gaststube geleert. Zurück bleibt ein dem Tode
entronnener Reporter des Satans, der glücklich einen zweiten Tee mit
doppeltem Rum bestellt.
(Foto: F. Klinsky)
(Foto: F. Klinsky)
Anekdoten: Verfolgungsjagd

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