Donnerstag, 18. September 2014

Anekdoten: Lynchjustiz

Doppelmord in Judenau

Lynchjustiz




Kurier Reporter Heinz Honies schiebt Nachtdienst. Der Polizeifunk rauscht träge vor sich hin, der Kopf wird bereits schwer, es ist knapp vor vier Uhr. Der dösende Reporter wird durch das Klingeln des schwarzen Telefons -dem „Direkten“ - aufgeschreckt. Das Landesgendarmerie-Kommando meldet freundlicherweise einen Doppelmord in Judenau - zwei Kinder. Honies verständigt routinemäßig Chefreporter Jäger, der den Fall selbst übernimmt, wird angewiesen, einen Fotografen zu organisieren - gemeinsam rumpelt man anschließend im VW-Käfer des Fotografen zum Ort des Geschehens.

Der Tatort- eine Wiese außerhalb des Ortes -in dessen Gebüsch man die Leichen des 12jährigen Knaben und seiner 10jährigen Schwester aufgefunden hat, liegt im Morgennebel, Honies und Fotograf latschen durch das kniehohe, taufeuchte Gras, Chefreporter Jäger recherchiert bei den Kriminalbeamten.
Die Identität steht fest, Honies und Fotograf besuchen die geschockten Eltern, wühlen im Familienalbum und nehmen zwei - und um der Konkurrenz nichts zu hinterlassen auch alle anderen Fotos - der Kinder mit. Anschließend geht es wieder zum Tatort, die Kriminalisten suchen nach Hinweisen, vom Täter jedoch keine Spur.

Fritz
KURIER-Reporter Heinz Honies anno 1968
 Jäger und der Fotograf lassen den mit feuchten, dünnen Lederschuhen und einem dünnen Mäntelchen bekleideten Honies auf der Wiese zurück, um die Fotos noch in die Mittagsausgabe zu bringen. Der Chefreporter verspricht eine Ablöse um 8 Uhr morgens. Die auch pünktlich eintrifft, Honies darf sich aufwärmen und wird vor dem Dorfwirtshaus in Judenau abgesetzt.
Der Reporter betritt die Wirtsstube, ausgefroren, unrasiert, die Schuhe naß und aufgeweicht, die Hosen bis zu den Knien vom nassen Gras dreckig und vor allem - fremd.
Die Stube ist um diese Zeit bereits voll mit Einheimischen, der Zigarettenqualm im Raum ist zum Schneiden, die Stimmung angeheizt- alles spricht vom Mord an den beiden Kindern, über das Untier, das solch ein Verbrechen begangen hat und über Konsequenzen, was mit solchen Leuten geschehen solle.
Als sich Honies still und bescheiden in eine Ecke setzt, erstirbt das Gespräch urplötzlich und alle Blicke sind auf den fremden Gast gerichtet.
Der Wirt nähert sich mit mißtrauischem Blick dem Tisch. Unbehaglich kratzt sich der Reporter am Kopf und bestellt heißen Tee mit Rum- was mit einem wissenden Kopfwenden des Wirtes zu den übrigen Gästen quittiert wird.
Eisige Stille dröhnt ans Ohr des Reporters, die nur durch das laute Ticken einer Wanduhr durchbrochen wird.
Urplötzlich eine Stimme aus der Gruppe an der Schank. „Wann mir den dawischen, braucht er ka Gendarmerie mehr.“
Alle blicken stahlhart zum Tisch des Reporters .
„Na, logisch.Zerscht daschlogn und dann aufhängen" meint eine zweite, rauhe Stimme aus der Masse der Umstehenden, die zustimmendes Gemurmel erntet.
„Sowas gehört sowieso weg" moniert eine grelle Frauenstimme, zu der ein Wetter gegerbtes Gesicht gehört. „Wer sowas macht, der is ka Mensch".
Die Gäste nicken zustimmend und blicken in Richtung des unbeteiligt blickenden Jungreporters, dem nicht allein wegen des Tees immer heißer wird. Vorsichtig taxiert er nach einem Fluchtweg, vor der Türe aber haben sich bereits zwei bullige Einheimische mit Händen wie Dreschflegeln aufgebaut.
Vorsichtig und in Zeitlupe greift er in seine Innentasche, um seinen Presseausweis heraus zu fingern, um einen möglicherweise irreparablen Fehler aufklären zu können. Aber: Die Finger greifen ins Leere. Wie ein Keulenschlag kommt die Erkenntnis - er ist nicht da.
Der kalte Schweiß beginnt bereits in Bächen den Rücken herabzufließen, Bilder von gelynchten und aufgeknüpften Menschen schießen durch sein Gehirn, diesem Mob kann man nicht entrinnen, die Karriere als männliche Oriana Fallaci ist dahin.
In diesem Moment wird die Türe aufgerissen, Chefreporter Jäger stürmt herein.
„Wo is da ein Telefon. Mir habn den Täter. Ich muss sofort durchgeben."
Im Nu hat sich die Gaststube geleert. Zurück bleibt ein dem Tode entronnener Reporter des Satans, der glücklich einen zweiten Tee mit doppeltem Rum bestellt.

(Foto: F. Klinsky)
 
Anekdoten: Verfolgungsjagd

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